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Anwesenheitsprämie

10. Dezember 2023

Die Anwesenheitsprämie, hilfreich oder viel zu kompliziert?

Seit längerer Zeit beobachten viele Arbeitgeber einen Anstieg der krankheitsbedingten Fehlzeiten. Gleichzeitig wächst der Wunsch, Anreize für eine zusätzliche Mitarbeiterbindung zu schaffen. Da könnte die Auslobung von sogenannten Anwesenheitsprämien naheliegen. Zweck einer Anwesenheitsprämie ist es, Fehlzeiten im Betrieb zu reduzieren. Es handelt sich um eine zusätzlich zum Gehalt gewährte Sonderzahlung, die entfällt oder wieder gekürzt wird, wenn der Arbeitnehmer nicht zur Arbeit erscheint.

Aber sind solche Anwesenheitsprämien überhaupt zulässig und was gilt es bei derartigen Sonderzahlungen ggf. zu beachten?

Anwesenheitsprämien werden meist einmal jährlich gezahlt. In seltenen Fällen gibt es auch Anwesenheitsprämien laufend zusätzlich zum Monatslohn. Die Gewährung einer Anwesenheitsprämie und die Bedingungen für die Gewährung werden üblicherweise in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung geregelt. Die Tarifverträge für den Einzelhandel sehen jedoch keine ausschließlich an die Anwesenheit anknüpfenden Sonderzahlungen vor. Es können aber auch einzelvertraglich Anwesenheitsprämien vereinbart werden. Da einzelvertraglich vorformulierte Vereinbarungen aber in der Regel dem AGB-Recht und damit insbesondere gesonderten Transparenz- und Verhältnismäßigkeitsregeln unterliegen, gilt es eine Menge Hürden zu nehmen, um eine wirksame individualvertragliche Vereinbarung zu treffen.

In der Regel noch unproblematisch können Anwesenheitsprämien vereinbart werden, die nur in Fällen unentschuldigten Fehlens verhältnismäßig gekürzt werden oder entfallen. Eine übliche Formulierung für die Kürzung einer jährlich gewährten Sonderzahlung wäre: „Für jeden Arbeitstag im dem Auszahlungsstichtag vorhergegangenen Jahr, an dem der Arbeitnehmer unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben ist, verringert sich die Sonderzahlung um den Betrag des durchschnittlichen Arbeitsentgelts eines Arbeitstages.“

Da unentschuldigte Fehltage im üblichen Arbeitsverhältnis aber viel seltener vorkommen als entschuldigte Fehltage, stellt sich die Frage, ob auch Kürzungen für entschuldigte Tage wirksam vereinbart werden können. Fehlzeiten aufgrund der Mutterschutzfristen oder eines Beschäftigungsverbotes während einer Schwangerschaft wären z. B. entschuldigte Fehlzeiten. Nach einer Entscheidung des EuGH untersage es aber die gebotene Gleichbehandlung von Männern und Frauen, dass ein Arbeitgeber Mutterschutzzeiten und Beschäftigungsverbote bei der Gewährung einer Weihnachtsgratifikation anteilig mindernd berücksichtigt. Diese Entscheidung wird sich auf Anwesenheitsprämien übertragen lassen, weshalb eine Ausschluss- oder Kürzungsregelung nicht an Mutterschutzzeiten oder Beschäftigungsverbote anknüpfen darf.

Auch das Fernbleiben der Arbeit wegen der Inanspruchnahme des gesetzlichen Urlaubes wäre ein entschuldigtes Fernbleiben. Da der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch unabdingbar ist, darf eine Inanspruchnahme des Urlaubs aber nicht behindert werden, also auch nicht durch eine Anwesenheitsprämie bzw. die Kürzung einer Sonderzahlung.

Beim gesetzlichen Anspruch auf bezahlten Bildungsurlaub spricht viel dafür, dass dieser ebenfalls nicht durch eine Anwesenheitsprämie indirekt behindert werden darf. Rechtsprechung scheint es zu der Thematik jedoch nicht zu geben. Das liegt sicherlich auch mit daran, dass der Begriff „Bildungsurlaub“ in Arbeitsverträgen und damit auch in Kürzungsregelungen gerne vermieden wird, um den Arbeitnehmer auf diesen oft gänzlich unbekannten gesetzlichen Anspruch gar nicht erst hinzuweisen.

Bei unbezahltem Sonderurlaub würde mit einer Kürzung der Prämie um die Fehltage hingegen nicht ein gesetzlicher Anspruch behindert. Das obige Formulierungsmuster ließe sich somit um die Thematik Sonderurlaub beispielsweise wie folgt ergänzen: „Für jeden Arbeitstag im dem Auszahlungsstichtag vorhergegangenen Jahr, an dem der Arbeitnehmer unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben ist oder unbezahlten Sonderurlaub genommen hat, verringert sich die Sonderzahlung um den Betrag des durchschnittlichen Arbeitsentgelts eines Arbeitstages.“

Bei Fehltagen wegen Arbeitsunfähigkeit sieht der Gesetzgeber im Entgeltfortzahlungsgesetz grundsätzlich für bis zu sechs Wochen eine Entgeltfortzahlungsverpflichtung des Arbeitgebers vor. Die Idee hinter der gesetzlichen Regelung ist offensichtlich, dass der Arbeitnehmer nicht wegen vorübergehender körperlicher Probleme wirtschaftlich schlechter gestellt wird. Eine Kürzung von Sonderzahlungen wegen krankheitsbedingter Fehltage könnte auf den ersten Blick dieses Ziel des Gesetzgebers unterwandern.

Die Thematik hat der Gesetzgeber aber auch erkannt und in § 4a Entgeltfortzahlungsgesetz deshalb über eine Sonderregelung Arbeitgebern eine kleine Brücke gebaut. Die Vorschrift regelt, dass auch Zeiten der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit bei der vereinbarten Kürzung der Höhe von Sondervergütungen berücksichtigt werden können. Allerdings darf die Kürzung für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, nicht überschreiten. Eine höhere Kürzungsregelung bei krankheitsbedingten Fehltagen wäre nach dem Gesetzgeber somit unwirksam.

In Falle von Maßnahmen der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation (z. B. Kuren) gilt nach § 9 Entgeltfortzahlungsgesetz ebenfalls die einschränkende Regelung des § 4a Entgeltfortzahlungsgesetz.

Eine Kürzungsregelung könnte deshalb wie folgt formuliert werden: „Für jeden Arbeitstag im dem Auszahlungsstichtag vorhergegangenen Jahr, an dem der Arbeitnehmer wegen Arbeitsunfähigkeit aufgrund Krankheit oder wegen einer Maßnahme der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation fehlt, verringert sich die Sonderzahlung um ¼ des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt.“

Diese eng gesetzte Grenze in § 4a Entgeltfortzahlungsgesetz macht es notwendig, sich intensiv über die richtige Summe für eine Anwesenheitsprämie Gedanken zu machen, um wirklich Anreize zu schaffen.



Ein Beispiel:
Eine Teilzeitkraft, die 4 Stunden täglich zu einem Mindestlohn von 12 EUR arbeitet, wäre nach § 4a Entgeltfortzahlungsgesetz von einer Kürzung der Anwesenheitsprämie um 12 EUR für einen krankheitsbedingten Fehltag betroffen. Betrüge die ungekürzte jährliche Anwesenheitsprämie 120 EUR, wäre sie bei 10 Krankheitstagen pro Jahr auf 0 abgeschmolzen. Betrüge die jährliche ungekürzte Anwesenheitsprämie hingegen 1.200 EUR, hätte sie sich bei 10 Krankheitstagen pro Jahr die Sonderzahlung lediglich auf 1.080 EUR reduziert.


Die große Frage ist somit, ab welcher Gehaltshöhe im Verhältnis zu welcher Höhe der Sonderzahlung das Kürzungsrisiko für krankheitsbedingte Fehltage wirklich einen Anreiz für Beschäftigte darstellt zur Arbeit zu gehen, obwohl man eigentlich angeschlagen ist oder „blaumachen“ möchte.

Da bei der Gewährung von Sonderzahlungen auch noch der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten ist, können auch nicht einfach für jeden einzelnen Beschäftigten unterschiedliche Sonderzahlungen ausgelobt werden. Vielmehr muss für Beschäftigte mit vergleichbaren Tätigkeiten und vergleichbaren Beschäftigungsumfangs jeweils eine Prämie vergleichbarer Höhe ausgelobt werden.

Wer mit Minijobbern arbeitet, muss zusätzlich beachten, dass zunächst mit der ungekürzten Anwesenheitsprämie kalkuliert werden muss, um zu ermitteln, wie viele Stunden monatlich gearbeitet werden dürfen, ohne die Grenze von 538 EUR (gilt ab 01.01.2024) zu überschreiten.

Weniger ein rechtlicher, sondern vielmehr ein aus Arbeitgebersicht strategischer Grund, der bei der Einführung von Anwesenheitsprämien ebenfalls bedacht werden sollte, ist, dass eine solche Prämie Beschäftigte dazu verleiten könnte, trotz ansteckender Erkrankung die Arbeit aufzusuchen und damit andere Beschäftigte einem Ansteckungsrisiko auszusetzen. Kurzfristig wäre in einem solchen Fall zwar mehr Personal auf der Arbeit, in der Folgezeit droht dann aber womöglich der krankheitsbedingte Ausfall weiterer Beschäftigter, welche sich angesteckt haben.

Die Auslobung von Anwesenheitsprämien sollte deshalb reiflich überlegt werden und es sollte bei Einführung solcher Prämien genau auf deren Höhe und eine wirksame Vereinbarung geachtet werden.

Hierbei helfen bei Bedarf gerne unsere Juristen.