BAG: Präventionsverfahren nicht notwendig bei Wartezeitkündigung eines Schwerbehinderten
Will der Arbeitgeber einem Schwerbehinderten kündigen, hat er grundsätzlich vorher ein sogenanntes Präventionsverfahren nach § 167 Absatz 1 Sozialgesetzbuch IX durchzuführen. Dies ist gesetzlich geregelt und Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.
Nach dieser Vorschrift hat der Arbeitgeber bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und den Betriebsrat sowie das Integrationsamt einzuschalten, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann. Dies gilt jedoch nicht, wenn das Arbeitsverhältnis dem zeitlichen und sachlichen Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes nicht unterfällt, stellte das BAG mit Urteil vom 03.04.2025 – 2 AZR 178/24 – fest.
Was war passiert?
Der schwerbehinderte Kläger arbeitete bei der Beklagten seit dem 01.01.2023 als Leiter für die Haus- und Betriebstechnik. Bei der Beklagten bestand weder ein Betriebsrat noch eine Schwerbehindertenvertretung. Bei Arbeitsvertragsabschluss war der Beklagten die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers bekannt. Sie wurde bei der Stellenbesetzung im Hinblick auf das Anforderungsprofil und sein individuelles Leistungsvermögen berücksichtigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30.03.2023, dem Kläger am Folgetag zugegangen, zum Ablauf des 15.04.2023. Die Parteien hatten eine Probezeit von sechs Monaten vereinbart. Im Kündigungsschutzverfahren teilte die Beklagte mit, der Kläger habe sich als fachlich ungeeignet erwiesen. Die Kündigungsschutzklage blieb in allen drei Instanzen erfolglos. Die höchsten deutschen Arbeitsrichter stellten fest, dass die Beklagte nicht gegen § 167 Absatz 1 SGB IX verstoßen habe. Diese Vorschrift komme während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG, also während der ersten sechs Monate, nicht zur Anwendung. Die Auslegung dieser Vorschrift ergebe, dass sie ausschließlich für Kündigungen im zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes gelte. Hätte der Gesetzgeber unabhängig von der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes die Durchführung des Präventionsverfahrens für erforderlich erachtet, hätte er dies anders im Gesetz definiert.
Fazit:
Kleinbetriebe mit maximal 10 Vollzeitarbeitnehmern müssen niemals ein Präventionsverfahren durchführen, größere Betriebe erst nach Ablauf der Wartezeit, also nach einer Beschäftigungszeit von mehr als sechs Monaten!