Wenn der gerade besetzte Arbeitsplatz doch „frei“ ist
Möchte ein Arbeitgeber einem schwerbehinderten Menschen oder einem Schwerbehinderten gleichgestellten Menschen eine Beendigungskündigung aussprechen, weil Letzterer wegen seiner Behinderung nicht mehr in der Lage ist, seine arbeitsvertraglich ausdrücklich vereinbarte Tätigkeit auszuüben, hat der Arbeitgeber zunächst gemäß § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX einen anderen freien Arbeitsplatz mit einer ggf. auch zur bisherigen vertraglichen Beschäftigung fremden, aber behinderungsgerechten, Tätigkeit im Unternehmen anzubieten.
Um zu prüfen, ob es irgendwo im Unternehmen einen zumutbaren leidensgerechten bzw. behinderungsgerechten Arbeitsplatz gibt, muss der Arbeitgeber optimalerweise genau wissen, welche Einschränkungen der gehandicapte Beschäftigte konkret hat, um überhaupt in Erwägung ziehen zu können, welcher freie Arbeitsplatz in Betracht kommen könnte. Um dies zu ermitteln, wird regelmäßig die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements sinnvoll sein.
Je mehr Arbeitsplätze es im Unternehmen gibt, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein geeigneter Arbeitsplatz dabei ist und dieser auch noch unbesetzt und somit frei ist oder zeitnah frei wird.
Das LAG Rheinland-Pfalz hat in einem kürzlich zu entscheidenden Fall (Urteil vom 04.07.2023 – 8 SA 60/23 -) zudem noch einmal zusätzlich klargestellt, dass es treuwidrig wäre, einen bisher freien Arbeitsplatz erst mit einem anderen Beschäftigten zu besetzen, um dann später zu behaupten, es gebe keinen freien Arbeitsplatz. In einem solchen Fall sei eine Kündigung des Schwerbehinderten oder einem Schwerbehinderten gleichgestellten Beschäftigten unwirksam, da nicht alle angemessenen milderen Mittel ausgeschöpft wurden. Vielmehr sei in einem solchen Fall der leidensgerechte Arbeitsplatz arbeitgeberseitig freizuhalten oder wieder freizumachen.
Wie lange ein möglicherweise als leidensgerecht in Betracht kommender Arbeitsplatz freigehalten werden muss, ist eine Frage der Auslegung im Einzelfall und birgt für Arbeitgeber, die einerseits unbesetzte Stellen nachbesetzen müssen, gleichzeitig aber eine Lösung für einen ständig oder dauerhaft ausfallenden Schwerbehinderten oder diesen gleichgestellten Beschäftigten finden wollen, Planungsrisiken.
Arbeitgeber, die hohe Ausfallzeiten mit Schwerbehinderten oder diesen gleichgestellten Beschäftigten haben, ist deshalb dringend anzuraten, frühzeitig Verfahren zum betrieblichen Eingliederungsmanagement einzuleiten und freie oder zeitnah frei werdende Arbeitsstellen/Arbeitstätigkeiten vom gehandicapten Arbeitnehmer im Rahmen eines BEM- Prozesses, zeitweilig austesten zu lassen und zu dokumentieren, ob diese leidensgerecht sind. Nur wenn ein solcher Testeinsatz gescheitert ist oder die Parteien von vornherein einvernehmlich, z.B. in einem BEM-Protokoll festgehalten haben, dass der freie Arbeitsplatz nicht leidensgerecht ist, sollte eine freie Stelle anderweitig nachbesetzt werden, wenn zeitnah womöglich noch die Kündigung des schwerbehinderten Beschäftigten anstehen könnte.