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Rechtsprechungsänderung? Fehler bei Massenentlassungsverfahren

Unterlässt der Arbeitgeber bei geplanten Massenentlassungen eine vorherige Anzeige bei der Arbeitsagentur oder ist die Massenentlassungsanzeige fehlerhaft, sind alle ausgesprochenen Kündigungen schon allein aus diesem Grund rechtsunwirksam.


Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat mit Beschluss vom 14.12.2023 – 6 AZR 157/22 (B) nach § 45 Absatz 3 Satz 1 ArbGG angefragt, ob der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts an seiner Rechtsauffassung festhält, dass eine im Rahmen einer Massenentlassung erklärte Kündigung nichtig ist, wenn im Zeitpunkt ihres Zugangs keine oder eine fehlerhafte Anzeige nach § 17 Absatz 1 und Absatz 3 KSchG vorliegt. Daraufhin hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts mit Beschluss vom 01.02.2024 – 2 AS 22/23 (A) – das Anfrageverfahren ausgesetzt und den EuGH um die erforderliche Beantwortung von Fragen zur Auslegung der nach §§ 17 ff. KSchG zugrundeliegenden Richtlinie 98/59 aus EG des Rates vom 20.07.1998 zur Angleichung von Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen ersucht.

Ob die oben mitgeteilte bisherige Rechtsprechung tatsächlich geändert wird, steht noch nicht fest und wird erst in vielen Monaten entschieden.

Wir werden Sie über den Fortgang unterrichten.

 

Elektronisches Fahrtenbuch – welche Anforderungen bestehen?

In vielen Arbeitsverhältnissen spielt die Stellung eines Dienstwagens auch zur privaten Nutzung eine wichtige Rolle. Der Dienstwagenfahrer hat die Privatnutzung zu versteuern. Die Ermittlung der Versteuerung kann nach der sogenannten 1 %-Methode oder durch die Führung eines Fahrtenbuchs erfolgen. Aus Vereinfachungsgründen und aus Gründen der Bequemlichkeit wählen die meisten Dienstwagennutzer die Pauschalversteuerung.


Ist die Nutzung des Dienstwagens für Privatfahrten eher gering, ist für den Arbeitnehmer die Führung eines Fahrtenbuchs lukrativer. Ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch kann neben der Papierform auch in elektronischer Form geführt werden. Bei einem Fahrtenbuch in elektronischer Form sind jedoch systembedingt Besonderheiten zu beachten.

Voraussetzung für die Anerkennung eines elektronischen Fahrtenbuchs ist, dass eine nachträgliche Änderung der mittels eines Computerprogramms erzeugten Daten nach der Funktionsweise des verwendeten Programms gänzlich ausgeschlossen ist oder jede Änderung in der Datei selbst dokumentiert und offengelegt wird. Müssen erst weitere Listen angefordert oder Abfragen bei Dritten durchgeführt werden, wird ein elektronisches Fahrtenbuch den aufgestellten Anforderungen nicht gerecht, stellte der Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 12.01.2024 – IVB 37/23 – fest. Erfüllt ein elektronisches Fahrtenbuch diese Anforderungen nicht, kann es der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden, sodass nachträglich die sogenannte 1 %-Methode zwingend anzuwenden ist.

Weihnachtsgratifikation zur Erfüllung des Mindestlohnanspruchs

Bekanntlich hat jeder erwachsene Arbeitnehmer grundsätzlich Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn von derzeit 12,41 EUR brutto pro Stunde. Das Mindestlohngesetz trifft keine Aussage dazu, welche Arbeitgeberleistungen auf den Mindestlohnanspruch angerechnet werden können.


Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geht insoweit von einem umfassenden Entgeltbegriff aus und tendiert dazu, alle Geldleistungen des Arbeitgebers, die Gegenleistung für die Arbeit des Arbeitnehmers sind, als mindestlohnwirksam und somit mit dem Mindestlohn verrechenbar zu betrachten. Vergleiche Merkblatt Mindestlohn – im Fokus.

Auch Einmalzahlungen, wie etwa Weihnachtsgeld, können angerechnet werden, wenn diese Zahlung unwiderruflich, bedingungslos und jeweils zeitanteilig (in der Regel mit einem Zwölftel) jeweils monatlich gezahlt wird. Diese Zwölftelzahlung beim Weihnachtsgeld muss jedoch vorher vertraglich vereinbart gewesen sein. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entschied mit Urteil vom 11.01.2024 – 3 Sa 4/23 –, dass die Zweifelsregelung in § 271 Abs. 2 BGB es dem Arbeitgeber nicht gestattet, eine dem Arbeitnehmer bisher zustehende jährliche Einmalzahlung wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld kraft einseitiger Entscheidung stattdessen in anteilig umgelegten monatlichen Teilbeträgen zu gewähren, um sie zeitanteilig auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen zu können.

Um was ging es konkret?

Die Klägerin war seit 2000 bei der Beklagten beschäftigt. Sie hatte arbeitsvertraglich Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld in Höhe von jeweils 50 % des Monatslohns. Bis einschließlich 2021 erhielt die Klägerin die betreffenden Einmalzahlungen stets im Juni und im November. Ende 2021 kündigte die Arbeitgeberin an, die beiden Einmalzahlungen künftig anteilig monatlich zu gewähren – und sie damit auf den spätestens am Ende des Folgemonats fälligen Mindestlohn anzurechnen. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Erfolg. Die Beklagte dürfe die langjährige Übung, das Urlaubs- und Weihnachtsgeld in einer Summe im Juni bzw. im November auszuzahlen, nicht einseitig ändern.

Handyverbot während der Arbeitszeit – kein Mitbestimmungsrecht

Das Handy ist ständiger Begleiter geworden und aus unserem Alltag wegen der Digitalisierung vieler Lebens- und Dienstleistungsprozesse nicht mehr wegzudenken. Mitunter kann der kleine Helfer aber auch Arbeitsabläufe stören, insbesondere wenn es um extrem häufige private Handynutzung geht.

Jetzt hat das Bundesarbeitsgericht erstmalig entschieden, dass der Arbeitgeber ein Handyverbot während der Arbeitszeit ohne Beteiligung des Betriebsrats per Direktionsrecht aussprechen darf (Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 17.10.2023 – 1 ABR 24/22 -). Das BAG bestätigte damit die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 13.10.2022 – 3 TaBV 24/22-. Konkret ging es um einen Betrieb eines Automobilzulieferers in Niedersachsen. Der Autozulieferer hatte die Arbeitnehmer durch eine im Betrieb ausgehängte Mitarbeiterinformation mit der Überschrift „Regeln zur Nutzung privater Handys während der Arbeitszeit“ darauf hingewiesen, dass „jede Nutzung von Mobiltelefonen/Smartphones zu privaten Zwecken während der Arbeitszeit nicht gestattet“ sei. Bei Verstößen sei mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen „bis hin zur fristlosen Kündigung“ zu rechnen.

Der Betriebsrat forderte den Autozulieferer unter Hinweis auf ein Mitbestimmungsrecht vergeblich auf, diese Maßnahme zu unterlassen. Der Betriebsrat vertrat die Auffassung, dass der Autozulieferer mit der einseitigen Anordnung sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG verletzt habe. Denn das Verbot betreffe das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer. Der Autozulieferer vertrat dagegen die Auffassung, das streitbefangene Verbot unterliege nicht der Mitbestimmung des Betriebsrates. Die Anordnung konkretisiere lediglich die Pflicht der Arbeitnehmer, ihrer Arbeit konzentriert nachzukommen und betreffe deshalb das Arbeitsverhalten. Der Betriebsrat unterlag in allen drei Instanzen.

Das Bundesarbeitsgericht erklärte, das ausgesprochene Verbot betreffe in erster Linie die Steuerung des Arbeitsverhaltens. Die Weisung, während der Arbeitszeit keine Mobiltelefone/Smartphones zu privaten Zwecken zu benutzen, ziele darauf ab, zügiges und konzentriertes Arbeiten der Arbeitnehmer sicherzustellen, indem mögliche Ablenkungen privater Natur durch die Verwendung dieser Geräte unterbunden werden sollen. Diese Geräte verfügten über eine Vielzahl unterschiedlichster Funktionen, die die Aufmerksamkeit der Arbeitnehmer binden und sie von der Erbringung ihrer Arbeitsleistung abhalten oder zumindest ablenken könnten. Damit sei das von der Arbeitgeberin ausgesprochene Verbot hauptsächlich auf die Steuerung des Arbeitsverhaltens gerichtet. Anweisungen, die die zu verrichtende Tätigkeit zwar nicht unmittelbar konkretisieren, aber gleichwohl ihre Erbringung sicherstellen sollen, betreffen das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten, stellten die höchsten deutschen Arbeitsrichter fest.

Rückzahlung von Fortbildungskosten bei Nichtbestehen der Prüfung

Auch im Einzelhandel fördern viele Arbeitgeber die berufliche Fortbildung ihrer Mitarbeiter durch vollständige Übernahme oder Bezuschussung von Lehrgangskosten, Prüfungsgebühren, Unterbringungs- oder Fahrtkosten sowie Lohnfortzahlung. Teilweise liegen diese Kosten im fünfstelligen Bereich. In den meisten Fällen vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer, dass der Arbeitnehmer nach erfolgreichem Abschluss der Fortbildung eine gewisse Zeit bei dem Arbeitgeber bleiben muss (Bindungsdauer), ansonsten muss der Arbeitnehmer die Fortbildungskosten ganz bzw. teilweise zurückzahlen. Dass der Arbeitnehmer im Prinzip zu einer Rückzahlung von Fortbildungskosten verpflichtet sein kann, wenn er das Unternehmen durch Eigenkündigung vorzeitig verlässt, ist von der Rechtsprechung seit vielen Jahren anerkannt.

Das Bundesarbeitsgericht hat jetzt mit Urteil vom 25.04.2023 – 9 AZR 187/22 – entschieden, dass auch einzelvertragliche Vereinbarungen, nach denen sich ein Arbeitnehmer an den Kosten einer vom Arbeitgeber finanzierten Fortbildung zu beteiligen hat, wenn er diese nicht beendet, auch grundsätzlich zulässig sind.

Sie benachteiligen den Arbeitnehmer nicht generell unangemessen. Die Richter stellten jedoch fest, dass es nicht zulässig ist, die Rückzahlungspflicht schlechthin an das wiederholte Nichtablegen der angestrebten Prüfung zu knüpfen, ohne die Gründe dafür zu betrachten. Jedenfalls praktisch relevante Fallkonstellationen, in denen die Gründe für die Nichtablegung der Prüfung nicht in der Verantwortungssphäre des Arbeitnehmers liegen, müssen von der Rückzahlungspflicht ausgenommen werden, stellten die Richter fest.

Die vom Arbeitergeber (mit-) verantwortete Kündigung des Arbeitnehmers stellt im Arbeitsleben keinen so fernliegenden Tatbestand dar, dass sie in einer Härtefallklausel, die Ausnahmen von der Rückzahlungspflicht vorsieht, nicht gesondert erwähnt werden müsste.

Im konkreten Fall ging es um eine Buchhalterin in einer Steuerberatungskanzlei, die ab August 2017 an einem Lehrgang zur Vorbereitung auf die Steuerberaterprüfung 2018/2019 teilnahm, die Steuerberaterprüfung jedoch weder im Jahr 2018 noch in den Jahren 2019 und 2020 antrat. Vielmehr kündigte die Arbeitnehmerin ihr Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 14.05.2020 zum 30.06.2020. Der Arbeitgeber nahm seine Mitarbeiterin nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung auf Rückzahlung von ca. 4.000 EUR Fortbildungskosten in Anspruch.

Nachdem das Arbeitsgericht Lingen und das Landesarbeitsgericht Niedersachsen dem Arbeitgeber Recht gaben, wurde die Klage auf Rückzahlung der Fortbildungskosten in letzter Instanz vor dem Bundesarbeitsgericht gekippt. Es sei nicht zulässig, die Rückzahlungspflicht schlechthin an das wiederholte Nichtablegen der angestrebten Prüfung zu knüpfen, ohne die Gründe dafür zu betrachten. Entsprechend den Wertungen aus der Rechtsprechung müssen nach Auffassung der BAG-Richter jedenfalls praktisch relevante Fallkonstellationen, in denen die Gründe für die Nichtablegung der Prüfung außerhalb der Verantwortungssphäre des Arbeitnehmers liegen, von der Rückzahlungspflicht ausgenommen werden. Da im abgeschlossenen Fortbildungsvertrag ein solcher Rückzahlungsausschluss nicht vorgenommen worden sei, stelle dies eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB mit der Folge dar, dass der Arbeitnehmer die Fortbildungskosten nicht zurückzahlen muss.

BGH-Urteil: Pfandgeld und Warenpreis müssen getrennt sein

Der BGH beendete mit Urteil vom 26.10.2023 – I ZR 135/20 – einen jahrelangen Rechtsstreit über die Ausweisung von Pfandgeld in der Zeitungswerbung. Der BGH entschied, dass bei der Werbung für Waren in Pfandbehältern der Pfandbetrag gesondert anzugeben ist und gab der Warenhauskette recht.

Konkret ging es um eine Warenhauskette, die Lebensmittel vertreibt. In einem Faltblatt bewarb sie u. a. Getränke in Pfandflaschen und Joghurt in Pfandgläsern. Der Pfandbetrag war in die angegebenen Preise nicht eingerechnet, sondern mit dem Zusatz „zzgl. … Euro Pfand“ ausgewiesen. Der Kläger, ein Wettbewerbsverein, sah darin einen Verstoß gegen die Preisangabenverordnung, weil kein Gesamtpreis, sondern zwei Einzelpreise für die Ware und das Pfand genannt waren und nahm die beklagte Warenhauskette auf Unterlassung in Anspruch.

Das Landgericht Kiel hatte der Klage noch stattgegeben. Auf die Berufung des Handelsunternehmens hatte das OLG Schleswig die Klage abgewiesen, jedoch die Revision zugelassen. Der BGH hatte das Verfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof insbesondere eine Frage zur Auslegung der Preisangaben-Richtlinie zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Der Europäische Gerichtshof hatte im Juni 2023 die separate Ausweisung von Pfandgeld ebenfalls für zulässig erklärt und auch im Sinne der Transparenz für notwendig erachtet. Der BGH hat sich auf die Seite des OLG Schleswig und der Warenhauskette gestellt. Wer – wie die Beklagte – als Anbieter von Waren gegenüber Verbrauchern unter Angabe von Preisen wirbt, hat zwar nach § 1 Abs. 1 S. 1 PAngV aF (§ 3 Abs. 1, § 2 Nr. 3 PAngV nF) den Gesamtpreis anzugeben. Der Gesamtpreis schließt aber nicht den Pfandbetrag ein, der beim Kauf von Waren in Pfandbehältern zu entrichten ist. Die Preisangabenverordnung setzt die Preisangaben-Richtlinie ins deutsche Recht um und ist daher richtlinienkonform auszulegen. Der dem Begriff des Gesamtpreises entsprechende Begriff des Verkaufspreises enthält nach der Vorabentscheidung des EuGH nicht den Pfandbetrag. Dieser ist daher neben dem Verkaufspreis bzw. dem Gesamtpreis anzugeben. Die entsprechende Regelung in § 1 Abs. 4 PAngV aF (§ 7 S. 1 PAngV nF) stellt dies in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht ausdrücklich klar.

Die gesonderte Angabe von Verkaufspreis und Pfandbetrag ermöglicht es den Verbrauchern, die Preise von Waren besser zu beurteilen und leichter miteinander zu vergleichen.

Der Handelsverband Deutschland begrüßt ausdrücklich diese dem Verbraucherschutz dienende Entscheidung.

Wer zahlt Jobrad-Leasing-Rate bei fehlender Entgeltfortzahlung?

Das Arbeitsgericht Aachen hat in einem Urteil vom 02.09.2023 (- Az. 8 Ca 2199/22 -) entschieden, dass Beschäftigte die Leasingraten eines Dienstrad-Leasings in Zeiträumen ohne Entgeltzahlung, wie z. B. im Krankengeldbezug, selbst zahlen müssen, wenn das Rad weiterhin zur Nutzung zur Verfügung steht.

Was war geschehen?

Eine Arbeitgeberin leaste für einen Arbeitnehmer zwei Fahrräder im Rahmen eines sog. Jobrad-Modells, welche Letzterem zur Nutzung überlassen wurden. Bezüglich der Leasingraten wurde lediglich vereinbart, dass diese im Wege einer Entgeltumwandlung vom monatlichen Bruttoarbeitsentgelt des Arbeitnehmers abgezogen werden sollten.

Als der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankte und der Entgeltfortzahlungszeitraum von sechs Wochen auslief, bezog der Arbeitnehmer Krankengeld. Im Zeitraum des Krankengeldbezuges zahlte der Arbeitnehmer an die Arbeitgeberin jedoch keinen Beitrag zur Leasingrate. Nach Wiederaufnahme der Arbeit rechnete die Arbeitgeberin die in der Krankengeldbezugszeit angefallenen Leasingraten mit der nächsten Entgeltzahlung des Arbeitnehmers teilweise auf. Daraufhin erhob der Arbeitnehmer Klage auf Zahlung des für die Leasingraten einbehaltenen Entgeltabzugs. Dies vergeblich.

Das Arbeitsgericht Aachen ist der Auffassung, dass wenn auch während einer längeren Arbeitsunfähigkeit das Fahrrad im Besitz des Arbeitnehmers bliebe, mithin die Nutzungsmöglichkeit erhalten bliebe, auch die Verpflichtung zur Gegenleistung in Form der Zahlung der Leasingraten bestehen bleibe. Insofern finanziere der Arbeitnehmer die Nutzung des Fahrerrades aus seinem eigenen Einkommen. Einer solchen Deutung der vereinbarten Regelung stünde nach Auffassung des Gerichtes auch kein AGB-Recht entgegen, denn betroffen sei das unmittelbare Austauschverhältnis von Leistung (Nutzung des Fahrrads) und Gegenleistung (Zahlung der Leasingraten), weshalb eine unangemessene Benachteiligung nur wegen fehlender Entgeltzahlung nicht erkennbar sei.

Die Argumentation des Arbeitsgerichts Aachen ließe sich grundsätzlich auch auf andere Fälle ohne Entgeltfortzahlung (Elternzeit, unbezahlter Sonderurlaub, unentschuldigtes Fehlen, Streikteilnahme) übertragen. Das Arbeitsgericht Osnabrück hatte eine vergleichbare Thematik im Jahr 2019 aber noch anders entschieden (02.12.2019, – Az. 3 Ca 229/19 -) und damals das Fortbestehen der Zahlungspflicht als AGB-widrig angesehen. Wie sich höhere Instanzen zu der Thematik positionieren, bleibt deshalb abzuwarten.

Arbeitgebern, die mit ihren Arbeitnehmern ein Jobradmodell aushandeln, wird jedenfalls angeraten, im dazugehörigen Vertrag mit dem Arbeitnehmer ausdrücklich eine Regelung zu treffen, wonach auch in Zeiten fehlender Entgeltfortzahlung der Arbeitnehmer die Leasingrate an den Arbeitgeber zu erstatten hat, wenn ihm die Nutzungsmöglichkeit am Fahrrad verbleibt. Alternativ oder zusätzlich könnte ein zeitweiliges Rückgaberecht oder Sonderkündigungsrecht im Hinblick auf das Job-Rad-Leasing vereinbart werden.

Wenn der gerade besetzte Arbeitsplatz doch „frei“ ist

Möchte ein Arbeitgeber einem schwerbehinderten Menschen oder einem Schwerbehinderten gleichgestellten Menschen eine Beendigungskündigung aussprechen, weil Letzterer wegen seiner Behinderung nicht mehr in der Lage ist, seine arbeitsvertraglich ausdrücklich vereinbarte Tätigkeit auszuüben, hat der Arbeitgeber zunächst gemäß § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX einen anderen freien Arbeitsplatz mit einer ggf. auch zur bisherigen vertraglichen Beschäftigung fremden, aber behinderungsgerechten, Tätigkeit im Unternehmen anzubieten.

Um zu prüfen, ob es irgendwo im Unternehmen einen zumutbaren leidensgerechten bzw. behinderungsgerechten Arbeitsplatz gibt, muss der Arbeitgeber optimalerweise genau wissen, welche Einschränkungen der gehandicapte Beschäftigte konkret hat, um überhaupt in Erwägung ziehen zu können, welcher freie Arbeitsplatz in Betracht kommen könnte. Um dies zu ermitteln, wird regelmäßig die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements sinnvoll sein.

Je mehr Arbeitsplätze es im Unternehmen gibt, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein geeigneter Arbeitsplatz dabei ist und dieser auch noch unbesetzt und somit frei ist oder zeitnah frei wird.

Das LAG Rheinland-Pfalz hat in einem kürzlich zu entscheidenden Fall (Urteil vom 04.07.2023 – 8 SA 60/23 -) zudem noch einmal zusätzlich klargestellt, dass es treuwidrig wäre, einen bisher freien Arbeitsplatz erst mit einem anderen Beschäftigten zu besetzen, um dann später zu behaupten, es gebe keinen freien Arbeitsplatz. In einem solchen Fall sei eine Kündigung des Schwerbehinderten oder einem Schwerbehinderten gleichgestellten Beschäftigten unwirksam, da nicht alle angemessenen milderen Mittel ausgeschöpft wurden. Vielmehr sei in einem solchen Fall der leidensgerechte Arbeitsplatz arbeitgeberseitig freizuhalten oder wieder freizumachen.

Wie lange ein möglicherweise als leidensgerecht in Betracht kommender Arbeitsplatz freigehalten werden muss, ist eine Frage der Auslegung im Einzelfall und birgt für Arbeitgeber, die einerseits unbesetzte Stellen nachbesetzen müssen, gleichzeitig aber eine Lösung für einen ständig oder dauerhaft ausfallenden Schwerbehinderten oder diesen gleichgestellten Beschäftigten finden wollen, Planungsrisiken.

Arbeitgeber, die hohe Ausfallzeiten mit Schwerbehinderten oder diesen gleichgestellten Beschäftigten haben, ist deshalb dringend anzuraten, frühzeitig Verfahren zum betrieblichen Eingliederungsmanagement einzuleiten und freie oder zeitnah frei werdende Arbeitsstellen/Arbeitstätigkeiten vom gehandicapten Arbeitnehmer im Rahmen eines BEM- Prozesses, zeitweilig austesten zu lassen und zu dokumentieren, ob diese leidensgerecht sind. Nur wenn ein solcher Testeinsatz gescheitert ist oder die Parteien von vornherein einvernehmlich, z.B. in einem BEM-Protokoll festgehalten haben, dass der freie Arbeitsplatz nicht leidensgerecht ist, sollte eine freie Stelle anderweitig nachbesetzt werden, wenn zeitnah womöglich noch die Kündigung des schwerbehinderten Beschäftigten anstehen könnte.

Kein Verwertungsverbot einer offenen Videoüberwachung

Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Entscheidung vom 29. Juni 2023 (- 2 AZR 296/22 -) die insbesondere für den Einzelhandel wichtige Frage geklärt, ob Erkenntnisse aus einer offenen Videoüberwachung auch dann im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses verwertet werden dürfen, wenn die Videoüberwachung als solche den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes beziehungsweise der Datenschutz-Grundverordnung nicht in jeder Hinsicht entspricht.

Im konkreten Fall hatte ein Arbeitnehmer zwar zunächst morgens das Werksgelände betreten und behauptet, er habe an dem Tag vollschichtig gearbeitet, tatsächlich hatte er aber noch vor Schichtbeginn das Betriebsgelände wieder verlassen und dadurch zu Lasten des Arbeitgebers einen Arbeitszeitbetrug begangen, was den Arbeitgeber zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung veranlasste. Der Arbeitgeber hatte von dem Verlassen des Werksgeländes zunächst durch einen anonymen Hinweis Kenntnis erlangt und diesen Hinweis zu einem späteren Zeitpunkt durch die Auswertung der Aufzeichnungen einer durch ein Piktogramm ausgewiesenen und auch sonst nicht zu übersehenden Videokamera an dem Werkstor verifiziert.

In dem Kündigungsschutzprozess hatte sich der Kläger darauf berufen, die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung unterlägen einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot und dürften daher im Kündigungsschutzprozess nicht berücksichtigt werden.

Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen war dieser Auffassung gefolgt und sah in der Verwertung der Videoaufzeichnungen eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers. Insbesondere habe es eklatant den Grundsätzen der Datenminimierung und Speicherbegrenzung nach Art. 5 Datenschutz- Grundverordnung widersprochen, dass die herangezogenen Videoaufzeichnungen zum Zeitpunkt der Auswertung bereits teilweise ein Jahr lang zurückgelegen hätten.

Das Bundesarbeitsgericht hingegen hat die Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes Niedersachsen aufgehoben. Der zweite Senat hat darauf hingewiesen, dass in einem Kündigungsschutzprozess grundsätzlich kein Verwertungsverbot in Bezug auf solche Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung besteht, die ein vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers, wie zum Beispiel Diebstahl oder Arbeitszeitbetrug, belegen sollen. Dabei hat das Bundesarbeitsgericht betont, dass dieser Grundsatz auch dann gilt, wenn die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers nicht vollständig im Einklang mit den Vorgaben des Datenschutzrechts steht. In einem solchen Fall ist es nach den zutreffenden Ausführungen des zweiten Senats grundsätzlich irrelevant, wie lange der Arbeitgeber zum Beispiel mit der erstmaligen Einsichtnahme in das Bildmaterial zugewartet und es bis dahin vorgehalten hat.

Auf der Grundlage dieser höchstrichterlichen Entscheidung wird die Rechtsposition der Unternehmen gestärkt, die z. B. nur anhand der Auswertung offener Videoüberwachungen Personaldiebstähle nachweisen können. Ob die Grundsätze auch für heimliche Videoüberwachungen gelten, bleibt abzuwarten.