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Sonderkündigungsschutz für Schwangere – nachträgliche Klagezulassung bei Schwangerschafts-Schnelltests

Grundsätzlich muss sich jeder Gekündigte binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht melden und Kündigungsschutzklage einreichen, wenn er sich gegen eine Kündigung wehren möchte – ansonsten wird die Kündigung wirksam, vergl. §§ 4,7 KSchG. Nur in Ausnahmefällen kann eine Kündigungsschutzklage nachträglich zugelassen werden, wenn der Arbeitnehmer trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zumutbaren Sorgfalt verhindert war, die Klage rechtzeitig einzureichen, vergl. § 5 KSchG.

Mit einer besonderen Fallkonstellation einer gekündigten Schwangeren hat sich jetzt das BAG mit Urteil vom 03.04.2025 – 2 AZR 156/24 – beschäftigt.

Was war passiert?

Die Klägerin war bei der Beklagten beschäftigt, die das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 30.06.2022 kündigte. Das Kündigungsschreiben ging der Klägerin am 14.05.2022 zu. Am 29.05.2022 führte die Klägerin mit einem in der Drogerie gekauften Schwangerschafts-Schnelltest einen Schwangerschaftstest durch, der ein positives Ergebnis hatte. Sie bemühte sich sofort um einen Termin beim Frauenarzt, den sie aber erst für den 17.06.2022 erhielt. Am 13.06.2022, also nach Ablauf der oben genannten 3-Wochen-Frist, hat die Klägerin eine Kündigungsschutzklage anhängig gemacht und deren nachträgliche Zulassung beantragt. Am 23.06.2022 reichte sie ein ärztliches Zeugnis beim Arbeitsgericht ein, das eine bei ihr am 17.06.2022 festgestellte Schwangerschaft in der „ca. 7 + 1 Schwangerschaftswoche“ bestätigte. Im Mutterpass wurde als voraussichtlicher Geburtstermin der 02.02.2023 ausgewiesen. Danach hatte die Schwangerschaft am 28.04.2022 begonnen (Rückrechnung vom mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage). Die Klägerin hat gemeint, die Kündigungsschutzklage sei gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 KSchG nachträglich zuzulassen. Die Beklagte vertrat die Rechtsauffassung, diese Vorschrift sei nicht einschlägig. Die Klägerin habe bereits durch den positiven Schnelltest am 29.05.2022 und damit binnen der sogenannten 3-Wochen-Frist sichere Kenntnis von ihrer Schwangerschaft gehabt. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht gaben der Klägerin recht und haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Die ausgesprochene Kündigung sei wegen Verstoßes gegen das Kündigungsverbot aus § 17 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG unwirksam. Das Gegenteil werde nicht aus § 7 HS 1 KSchG fingiert. Zwar habe die Klägerin mit der Klagerhebung am 13.06.2022 die am 07.06.2022 abgelaufene Klagefrist nicht gewahrt. Diese Frist sei zwar mit dem Zugang des Kündigungsschreibens angelaufen. Der Fristbeginn richte sich jedoch nicht nach § 4 S. 4 KSchG, denn die Beklagte hatte im Kündigungszeitpunkt keine Kenntnis von der seinerzeit bereits bestandenen Schwangerschaft der Klägerin. Die verspätet erhobene Klage sei jedoch gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 KSchG nachträglich zuzulassen. Die Klägerin habe aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst mit der frühestmöglichen frauenärztlichen Untersuchung am 17.06.2022 positive Kenntnis davon gehabt, dass sie bei Zugang der Kündigung am 14.05.2022 schwanger gewesen sei. Der zuvor durchgeführte Schwangerschafts-Schnelltest vom 29.05.22 habe ihr diese Kenntnis nicht vermitteln können, urteilten die BAG-Richter auch in letzter Instanz.

Einwurf-Einschreiben – kein Anscheinsbeweis für den tatsächlichen Zugang

Bei der Zustellung von Arbeitgeberkündigungen werden immer wieder gravierende Fehler gemacht, die im Extremfall dazu führen, dass der Kündigungszugang und damit eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht bewiesen werden kann. Dabei wird häufig das Einwurf-Einschreiben überschätzt. Das BAG hat mit Urteil vom 30.01.2025 – 2 AZR 68/24 – nochmals klare Grundsätze zum Kündigungszugang aufgestellt.

Eine verkörperte Willenserklärung (Kündigungsschreiben) geht unter Abwesenden zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie z. B. ein Hausbriefkasten. Der Beweis des ersten Anscheins greift bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist. Die bloße Vorlage des Einlieferungsbeleges eines Einwurf-Einschreibens und die Darstellung seines Sendungsverlaufs begründen für sich allein genommen ohne die Vorlage einer Reproduktion des Auslieferungsbelegs keinen Anscheinsbeweis für einen Zugang der eingelieferten Postsendung beim Empfänger, stellten die BAG-Richter fest.

Im Streitfall hatte der kündigende Arbeitgeber zwar den Einlieferungsbeleg des Einwurf-Einschreibens und den Sendungsverlauf darstellen, jedoch die Reproduktion des Auslieferungsbelegs nicht mehr vorlegen können. (Den notwendigen Ausdruck erhält der Arbeitgeber nur, wenn er diesen binnen 15 Monaten nach Aufgabe des Einwurf-Einschreibens bei der Deutschen Post AG gegen Gebühr anfordert). Die Kündigungsempfängerin habe sich deshalb im Verfahren mit Recht durch einfaches Bestreiten darauf berufen können, sie habe das Kündigungsschreiben niemals erhalten.

TIPP:

Wir empfehlen grundsätzlich, das Kündigungsschreiben persönlich zu übergeben und sich den Erhalt dieser Kündigung mit Datum und Unterschrift des Kündigungsempfängers quittieren zu lassen. Sollte eine direkte Übergabe der Kündigung ausnahmsweise nicht möglich sein, z. B. weil der Arbeitnehmer erkrankt ist, empfiehlt sich eine Zustellung per Boten in den Hausbriefkasten des Arbeitnehmers. Dabei muss der Bote das Kündigungsschreiben selbst kuvertieren, damit er später bezeugen kann, dass sich in dem Brief auch tatsächlich das Kündigungsschreiben befand. Ferner sollte sich der Bote Datum und Uhrzeit des Einwurfs in den Hausbriefkasten notieren, damit die Zustellung exakt bewiesen werden kann.

Antrag auf Elternzeit ab Mai 2025 in Textform möglich

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Elternzeit oder eine Verlängerung ihrer Elternzeit beantragen möchten oder die einen Antrag auf Teilzeit während der Elternzeit stellen möchten, mussten dies bisher mit eigenhändig unterschriebenem Schreiben zur Wahrung des gesetzlichen Schriftformerfordernisses beantragen. Diese Schriftformerfordernis gilt aufgrund einer Gesetzesänderung nur noch für Kinder, die vor dem 01.05.2025 geboren werden.

Für ab dem 01.05.2025 geborene Kinder kann ein Antrag auf Elternzeit nach § 16 Abs. 1 BEEB n. F. und ein Antrag auf Teilzeit während der nach § 15 Abs. 7 BEEG n. F.auch in sogenannter Textform gestellt werden.

Textform bedeutet gemäß § 126b BGB, dass eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben wird. Es reicht beispielsweise ein papiernes Schreiben mit dem Antrag, auf dem der Name der erklärenden Person gedruckt ist. Aber auch ein Antrag per E-Mail oder in einer Textnachricht ist nunmehr möglich, sofern der Antrag und namentlich der Antragsteller aus dem Text erkennbar sind.

Natürlich ist aber auch weiterhin eine handschriftliche Antragstellung möglich.

Beide Elternteile haben einen gesetzlichen Anspruch auf Elternzeit. Der Arbeitgeber eines Elternteils kann den Antrag auf Elternzeit deshalb grundsätzlich nicht ablehnen, wenn eine vollständige Freistellung während der Elternzeit verlangt wird und das die Elternzeit begründende Kind noch weniger als 3 Jahre alt ist.

Aus dringenden betrieblichen Gründen kann jedoch ein Antrag auf Teilzeit in Elternzeit durch einen Arbeitgeber abgelehnt werden. Eine solche Ablehnung der Verringerung der Arbeitszeit und/oder die Ablehnung deren Verteilung kann bei ab dem 01.05.2025 geborenen Kindern nunmehr ebenfalls in Textform erfolgen.

Bei Ablehnungen seitens des Arbeitgebers sollte dieser darauf achten, dass er eine Lesebestätigung oder ein Empfangsbekenntnis des Arbeitnehmers vorweisen kann. Im Streitfalle muss nämlich gegebenenfalls der Arbeitgeber nicht nur seine rechtzeitige Ablehnung, sondern auch deren Zugang beweisen können.

Muster stehen unseren Mitgliedern exklusiv als Download zur Verfügung:

Arbeitgeber, die eine ablehnende Entscheidung auf einen Antrag auf Elternzeit oder Teilzeit in Elternzeit treffen wollen, können sich durch die Juristen des Handelsverbandes zu dieser Thematik beraten lassen.

Mitgliedsbeiträge für Fitnessstudio nicht steuermindernd

Aufwendungen für die Mitgliedschaft im Fitnessstudio können nicht als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 EStG steuermindernd geltend gemacht werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Steuerpflichtige aufgrund ärztlicher Verordnung an einem sogenannten Funktionstraining teilnimmt, entschied der Bundesfinanzhof in letzter Instanz mit Urteil vom 21.11.2024 – VI R 1/23 -.

Es handelte sich bei den Mitgliedsbeiträgen nicht um Krankheitskosten, sondern um Kosten für vorbeugende oder die der Gesundheit ganz allgemein dienende Maßnahmen, sodass keine außergewöhnlichen Belastungen vorlägen. Auch der Umstand, dass der Steuerpflichtige die Möglichkeit habe, alle Angebote dieses Fitnessstudios (Sauna, Schwimmbad oder andere Fitnesskurse) zu nutzen, stehe einem steuermindernden Abzug des Mitgliedsbeitrages entgegen, erklärten die höchsten deutschen Finanzrichter.

Digitales Zugangsrecht der Gewerkschaft zum Betrieb

Über Art, Umfang und Ausgestaltung des digitalen Zugangsrechts einer Gewerkschaft zum Betrieb wird seit Jahren in Rechtsprechung und Literatur gestritten. Jetzt hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 28.01.2025 – 1 AZR 33/24 – klarstellende Weichenstellungen vorgenommen. Ein Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, der für ihn tarifzuständigen Gewerkschaft die dienstlichen E-Mail-Adressen seiner – bereits vorhandenen und neu hinzukommenden – Arbeitnehmer zum Zwecke der Mitgliederwerbung mitzuteilen. Ein solches Begehren kann nicht auf eine von den Gerichten – im Weg der gesetzesvertretenden Rechtsfortbildung – vorzunehmende Ausgestaltung der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Koalitionsbetätigungsfreiheit gestützt werden.

Um was ging es konkret?

Die Parteien haben über die Möglichkeiten der klagenden Gewerkschaft gestritten, im Betrieb der Beklagten digital Werbung zu betreiben. Die Beklagte entwickelt, produziert und vertreibt Sportartikel. Sie ist die Obergesellschaft eines weltweiten Konzerns. Die Klägerin ist die für die Beklagte zuständigen Gewerkschaft. Im Betrieb sind über 5.000 Arbeitnehmer beschäftigt. Ein erheblicher Teil der betriebsinternen Kommunikation findet digital, u. a. über E-Mail, die von Microsoft 365 entwickelte Anwendung Viva Engage und das konzernweite Intranet statt. Ferner verfügen die meisten Arbeitnehmer über eine unter der Domain der Beklagten generierte namensbezogene E-Mail-Adresse.

Die klagende Gewerkschaft hat die Auffassung vertreten, ihr müsse für die Mitgliederwerbung ein Zugang zu diesen Kommunikationssystemen eingeräumt werden. Die Arbeitgeberin sei daher u. a. verpflichtet, ihr sämtliche betrieblichen E-Mail-Adressen der Arbeitnehmer zu übermitteln. Zumindest habe sie einen solchen Anspruch, um den Arbeitnehmern bis zu 104 E-Mails im Jahr mit einer Größe von bis zu fünf MB zu übersenden. Außerdem sei ihr ein Zugang als „international user“ zum konzernweiten Netzwerk bei Viva Engage zu gewähren, damit sie dort eine bestimmte Anzahl werbender Beiträge einstellen könne. Zudem müsse die Arbeitgeberin auf der Startseite ihres Intranets eine Verlinkung mit einer Webseite der Gewerkschaft vornehmen.

Die Klage der Gewerkschaft blieb in allen Instanzen erfolglos. Auch die Revision vor dem Bundesarbeitsgericht hatte keinen Erfolg. Art. 9 Abs. 3 GG gewährleiste einer Gewerkschaft zwar grundsätzlich die Befugnis, betriebliche E-Mail-Adressen der Arbeitnehmer zu Werbezwecken und für deren Informationen zu nutzen. Allerdings haben die Gerichte – mangels Tätigwerdens des Gesetzgebers – bei der Ausgestaltung der Koalitionsbetätigungsfreiheit auch die mit einem solchen Begehren betroffenen Grundrechte des Arbeitgebers aus Art. 14 und Art. 12 Abs. 1 GG sowie die ebenfalls berührten Grundrechte der Arbeitnehmer aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in den Blick zu nehmen, stellten die BAG-Richter fest. Sie haben alle betroffenen Positionen im Weg der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie trotz ihres Gegensatzes für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden. Ein Anspruch auf bloße Übermittlung der betrieblichen E-Mail-Adressen bestehe nicht. Dieser Eingriff in die Rechte der Arbeitgeberin und der Arbeitnehmer sei zu stark. Die Gewerkschaft habe jedoch die Möglichkeit, die Arbeitnehmer vor Ort im Betrieb nach ihren betrieblichen E-Mails zu fragen; dies sei der schonendste Eingriff für die grundrechtlich verbürgten Belange der Arbeitnehmer und der Arbeitgeberin.

Der auf eine Nutzung des konzernweiten Netzwerkes bei Viva Engage gerichtete Klageantrag blieb ebenfalls erfolglos. Die damit verbundenen Beeinträchtigungen der beklagten Arbeitgeberin überstiegen das durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Interesse der Gewerkschaft an der Durchführung solcher Werbemaßnahmen. Ferner erteilten die Bundesrichter auch des auf die Vornahme einer Verlinkung im Intranet der Beklagten abzielenden Klageantrags eine Absage. Die Klägerin könne ihr Begehren mangels einer planwidrigen Regelungslücke im Betriebsverfassungsgesetz nicht auf eine analoge Anwendung von § 9 Abs. 3 S. 2 BPersVG stützen. Ein Anspruch auf eine Verlinkung ihrer Webseite auf der Startseite des Intranets bestehe nicht.

Schadenersatz bei verspäteter Zielvorgabe

Zielvereinbarungen sind vertragliche Nebenabreden zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, mit denen festgelegt wird, dass bei Erreichen eines bestimmten Ziels innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens eine zusätzliche Vergütung (Zielvereinbarungsprämie) gezahlt wird. Adressaten von Zielvereinbarungsprämien sind zumeist Arbeitnehmer, die „höhere Dienste“ schulden bzw. Leitungsfunktionen haben, z. B. Bezirksleiter, Filialleiter aber auch Abteilungsleiter. Klar ist, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zum Schadenersatz verpflichtet ist, wenn er für die verabredete Zielperiode keinerlei Ziele vorgibt. In dem jetzt vom BAG mit Urteil vom 19.02.2025 – 10 AZR 57/24 – zu beurteilenden Fall ging es um Art und Umfang eines Schadenersatzanspruchs, wenn der Arbeitgeber zwar eine Zielvorgabe macht, diese jedoch verspätet, im laufenden Kalenderjahr erklärt.

Verstößt der Arbeitgeber schuldhaft gegen seine arbeitsvertragliche Verpflichtungen, dem Arbeitnehmer rechtzeitig für eine Zielperiode Ziele vorzugeben, an deren Erreichen die Zahlung einer variablen Vergütung geknüpft ist (Zielvorgabe), löst dies, wenn eine nachträgliche Zielvorgabe ihre Motivations- und Anreizfunktion nicht mehr erfüllen kann, grundsätzlich (auch) einen Anspruch des Arbeitnehmers nach § 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB i.V.m. § 283 S. 1 BGB auf Schadenersatz statt der Leistung aus.

Worum ging es konkret?

Der Kläger war bei der Beklagten bis zum 30.11.2019 als Mitarbeiter mit Führungsverantwortung beschäftigt. Arbeitsvertraglich war ein Anspruch auf eine variable Vergütung vereinbart. In einer ausgestaltenden Betriebsvereinbarung war bestimmt, dass bis zum 1. März des Kalenderjahres eine Zielvorgabe zu erfolgen hat, die sich zu 70 % aus Unternehmenszielen und zu 30 % aus individuellen Zielen zusammensetzt und sich die Höhe des variablen Gehaltsbestandteils nach der Zielerreichung des Mitarbeiters richtet. Erst am 26.09.2019 teilte der Geschäftsführer der Beklagten den Mitarbeitern mit Führungsverantwortung mit, für das Jahr 2019 werde bezogen auf die individuellen Ziele entsprechend der durchschnittlichen Zielerreichung aller Führungskräfte in den vergangenen drei Jahren von einem Zielerreichungsgrad von 142 % ausgegangen. Erstmals am 15. Oktober 2019 wurden dem Kläger konkrete Zahlen zu den Unternehmenszielen einschließlich deren Gewichtung und des Zielkorridors genannt. Eine Vorgabe individueller Ziele für den Kläger erfolgte nicht. Die Beklagte zahlte an den Kläger für 2019 eine variable Vergütung von ca. 15.500 EUR brutto. Dem Kläger war das zu wenig. Der Kläger monierte, dass die Beklagte ihm zum Schadensersatz verpflichtet sei, weil sie für das Jahr 2019 keine individuellen Ziele und die Unternehmensziele verspätet vorgegeben hat. Es sei davon auszugehen, dass er rechtzeitig vorgegebene, nach billigem Ermessen entsprechende Unternehmensziele zu 100 % und individuellen Ziele entsprechend dem Durchschnittswert von 142 % erreicht hätte. Deshalb stünden ihm ca. weitere 16.000 EUR brutto als Schadensersatz zu.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, das Landesarbeitsgericht verurteilte den Arbeitgeber auf Zahlung weiterer 16.000 EUR brutto. Die Revision des Arbeitgebers hatte vor dem 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Beklagte habe ihre Verpflichtung zu einer den Regelungen der Betriebsvereinbarung entsprechenden Zielvorgabe für das Kalenderjahr 2019 schuldhaft verletzt, indem sie dem Kläger keine individuellen Ziele vorgegeben und ihm die Unternehmensziele erst verbindlich mitgeteilt hat, nachdem etwa bereits 3/4 der Zielperiode abgelaufen war. Eine ihrer Motivations- und Anreizfunktion gerecht werdenden Zielvorgabe sei zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich gewesen. Deshalb komme hinsichtlich der Ziele auch keine nachträgliche gerichtliche Leistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 S. 2 Halbs. 2 BGB in Betracht. Bei der im Wege der Schätzung zu ermittelnden Höhe des zu ersetzenden Schadens sei nach § 252 S. 2 BGB von der für den Fall der Zielerreichung zugesagten variablen Vergütung auszugehen und anzunehmen, dass der Kläger bei einer nach billigem Ermessen entsprechenden Zielvorgabe die Unternehmensziele zu 100 % und die individuellen Ziele entsprechend dem Durchschnittswert von 142 % erreicht hätte, stellten die Richter fest.

Probezeit in befristeten Arbeitsverhältnissen muss angemessen sein

Üblicherweise wird zu Beginn eines Arbeitsverhältnisses eine Probezeit vereinbart. Dies gilt sowohl bei der Eingehung unbefristeter Arbeitsverhältnisse wie auch bei befristeten Arbeitsverhältnissen. Bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen gibt der Gesetzgeber gewisse Vorgaben und Hinweise, dass während einer vereinbarten Probezeit, längstens für die Dauer von sechs Monaten, eine verkürzte Kündigungsfrist von zwei Wochen vereinbart werden kann, vergl. § 622 Abs. 3 BGB.

Parallel hierzu ist bei der Vereinbarung befristeter Arbeitsverhältnisse in § 15 Abs. 3 Teilzeit- und Befristungsgesetz lediglich geregelt, dass eine vereinbarte Probezeit „im Verhältnis“ zu der erwarteten Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit stehen muss.

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 02.07.2024 – 19 Sa 1150/23 – eine viel beachtete Entscheidung getroffen und „klare Kante“ geredet. Das Landesarbeitsgericht erklärt, dass jedenfalls in einem für ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag eine Probezeit von 25 % der vereinbarten Gesamtbefristungsdauer regelmäßig zulässig ist gemäß § 15 Abs. 3 TzBfG.

Was war passiert?

In dem Streitfall war die Klägerin als Advisor (Beraterin) in einem Unternehmen, das mehr als zehn Arbeitnehmer hatte, befristet für exakt ein Jahr zu einem Bruttomonatsverdienst von 2.500 EUR angestellt. In dem Arbeitsvertrag war eine viermonatige Probezeit vereinbart, binnen derer eine beidseitige Kündigung mit einer Frist von zwei Wochen möglich war. Nach Ablauf dieser Probezeit sollten die gesetzlichen Kündigungsfristen Anwendung finden. Der Arbeitgeber, die Beklagte, kündigte das Arbeitsverhältnis wenige Tage vor Ablauf der viermonatigen Probezeit mit der vereinbarten kurzen Kündigungsfrist zum Ablauf des 28.12.2022. Gegen diese der Klägerin zugegangene Kündigung wurde fristgerecht Feststellungsklage erhoben. Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass die vereinbarte viermonatige Probezeit zu lang sei und deshalb § 15 Abs. 3 TzBfG widerspreche. Die Probezeit stehe nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Dauer der Befristung. Dies folge auch aus der Europäischen Arbeitsbedingungen-Richtlinie. Damit entfalle gleichzeitig die der Probezeitvereinbarung zugrundeliegende Kündbarkeit des Vertrages. Dies führe zur Unwirksamkeit der Kündigung insgesamt.

Das Arbeitsgericht Berlin hat der Klage insoweit entsprochen, als es festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung nicht mit der kurzen Kündigungsfrist betreffend der Probezeit geendet hat, sondern erst unter Anwendung der gesetzlichen Kündigungsfrist zum 15.01.2023. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung in vollem Umfang. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund der arbeitgeberseitigen Kündigung nicht bereits am 28.12.2022, sondern erst gut zwei Wochen später unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zum 15.01.2023. Bei lediglich auf ein Jahr befristeten Arbeitsverhältnissen sei längstens eine Probezeit von 25 % der Befristung, dies seien max. 3 Monate, wirksam zu vereinbaren gewesen. Das Gericht erklärte in handhabbarer Weise ein Quorum von 25 % als Regelfall jedenfalls bei einer einjährigen Befristung für angemessen. Zwar könnten auch im Einzelfall längere Probezeiten wirksam vereinbart werden, dann müssten jedoch besondere Umstände vorgetragen werden. Das von der Beklagten vorgetragene dreiwöchige theoretische Training und ein sich anschließendes vierwöchiges sog. Nesting-Training sowie die vorgetragene neunwöchige Non-Tenure Phase erfüllten nicht die Anforderungen zur Abweichung von diesem Regelfall. Deshalb sei die Kündigung umzudeuten in eine Kündigung zum nächstzulässigen Termin mit der gesetzlichen Kündigungsfrist (vier Wochen zum 15. eines Monats), was zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 15.01.2023 führen würde. Die Vereinbarung einer zu langen Probezeit führe nicht dazu, dass die erklärte Kündigung insgesamt unwirksam sei. Auch für auf kurze Zeit befristete Arbeitsverhältnisse findet die sog. sechsmonatige Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG Anwendung, stellte das LAG zutreffend fest.

Anmerkung:

Auch in unseren befristeten Formulararbeitsverträgen des Handelsverbandes wird auf diese 25 %-Klausel bei der Probezeitdauer hingewiesen.

Betriebsratswahl – weniger Kandidaten als Betriebsratssitze

Die Größe eines Betriebsrats, d. h. die Anzahl der Betriebsratsmitglieder, hängt nach § 9 BetrVG von der Anzahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer ab. Danach besteht der Betriebsrat in Betrieben mit in der Regel 5 bis 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern aus 1 Person, bei 21 bis 50 wahlberechtigten Arbeitnehmern aus 3 Mitgliedern, bei 51 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern aus 5 Mitgliedern und bei 101 bis 200 wahlberechtigten Arbeitnehmern aus 7 Mitgliedern.

Bewerben sich bei einer Betriebsratswahl weniger Arbeitnehmer um einen Betriebsratssitz als Betriebsratsmitglieder zu wählen sind, kann ein „kleinerer“ Betriebsrat errichtet werden. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 24.04.2024 – 7 ABR 26/23 –.

Um was ging es konkret? Die Arbeitgeberin führte einen Betrieb mit 170 beschäftigten Arbeitnehmern. Bei dieser Betriebsgröße ist nach oben genannter gesetzlich vorgegebener Staffelung grundsätzlich ein Betriebsrat mit 7 Mitgliedern zu bilden. Bei der im Frühjahr 2022 eingeleiteten Betriebsratswahl kandidierten jedoch lediglich 3 Arbeitnehmer und es wurde ein Betriebsrat mit 3 Mitgliedern gewählt. Die Arbeitgeberin hat diese Wahl für nichtig gehalten und beim Arbeitsgericht eine entsprechende Feststellung beantragt. Die Arbeitgeberin unterlag in allen 3 Instanzen. Der 7. Senat des BAG führte aus, dass der Wahl eines Betriebsrats nicht entgegensteht, wenn sich nicht genügend Bewerber für das Betriebsratsamt finden. Dies folge vor allem aus dem in § 1 Absatz 1 Satz 1 BetrVG ausgedrückten gesetzgeberischen Willen, dass in Betrieben mit in der Regel mindestens 5 ständig wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen 3 wählbar sind, Betriebsräte gewählt werden. Bei der Betriebsratsgröße sei in der Konstellation von weniger Kandidaten als zu besetzenden Betriebsratssitzen auf die (jeweils) nächst niedrigere Stufe des § 9 BetrVG solange zurückzugehen, bis die Zahl von Bewerbern für die Errichtung eines Gremiums mit einer ungeraden Anzahl von Mitgliedern ausreicht.

Ist die dauerhafte Verlängerung der Arbeitszeit eines Arbeitnehmers mitbestimmungspflichtig?

Die Problematik kommt immer wieder in der betrieblichen Praxis vor. Vor der Einstellung des Mitarbeiters wird der Betriebsrat entsprechend des § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG ordnungsgemäß beteiligt und seine Zustimmung eingeholt. Nachdem die Zustimmung vorliegt, wird der Mitarbeiter eingestellt und beschäftigt.

­­­­­­­­­­­­­­­­­Nachdem dieser neue Mitarbeiter vielleicht monate- oder jahrelang gut gearbeitet hat, will der Arbeitgeber im Einvernehmen mit dem Mitarbeiter die ursprünglich vertraglich vereinbarte Arbeitszeit anheben. Vorsicht! Es stellt sich dann die Frage, ob der Betriebsrat wegen der Stundenaufstockung erneut nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG zu beteiligen ist.

Nach der BAG-Rechtsprechung ist die dauerhafte Erhöhung der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit dann ein Mitbestimmungstatbestand nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG unter dem Gesichtspunkt einer Einstellung, wenn die Arbeitszeit um wenigstens 10 Stunden pro Woche erhöht werden soll, so z. B. der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 06.08.2015 – 5 TaBV 11/15 –. Beträgt die geplante dauerhafte Stundenerhöhung jedoch weniger als 10 Stunden pro Monat, kann dies der Arbeitgeber allein mit dem Arbeitnehmer entscheiden, ohne dass der Betriebsrat zu beteiligen wäre.

Fruchtgummihersteller Katjes wirbt irreführend – keine falschen Umweltversprechen

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 27.06.2024 – I ZR 98/23 – entschieden, dass der Begriff “klimaneutral“ im Zusammenhang mit Werbung für Süßigkeiten als irreführend einzustufen ist, sofern keine Erläuterung dazu erfolgt, ob die beworbene Klimaneutralität durch tatsächliche CO2-Einsparungen in der Herstellung des Produkts oder lediglich durch Kompensation erreicht wird.

Die bundesweit tätige Wettbewerbszentrale hatte den Hersteller wegen der bloßen Verwendung der Aussage „klimaneutral“ abgemahnt und zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. Das höchste deutsche Gericht stellt mit diesem Urteil strenge Anforderungen an das Werbelabel „klimaneutral“.  Der Fruchtgummihersteller Katjes darf zwar weiter damit werben, dass seine Produkte klimaneutral produziert werden. Er muss aber zusätzlich klarstellen, dass er selbst nicht CO2-frei produziert, sondern lediglich seine CO2-Ausstöße durch Zahlungen kompensiert. Katjes bewarb seine Produkte damit, dass er seit 2021 „klimaneutral“ produziert. Damit war gemeint, dass Katjes Klimaschutzprojekte etwa zur Aufforstung oder zum Waldschutz außerhalb des Unternehmens finanziert. Katjas arbeitete dabei mit einem anderen Unternehmen zusammen, das die Klimaprojekte betreute und zertifizieren ließ. Weitere Informationen erhielten die Kunden jedoch erst dann, wenn sie einen QR-Code scannten oder die angegebene Webseite aufriefen.

Dies sei irreführend, stellten die Richter fest. Denn die Verbraucher glaubten, dass Katjes selbst klimaneutral produziere, was unrichtig sei. Der Verweis auf den QR-Codes oder die angegebenen Webseiten reiche nicht aus, um eine Irreführung zu verhindern, da die tatsächlichen Gegebenheiten erst durch weitere Recherche zu erkennen seien. Deshalb muss Katjes seine Werbung zum Begriff „klimaneutral“ besser und klarer erklären.