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BAG: Präventionsverfahren nicht notwendig bei Wartezeitkündigung eines Schwerbehinderten

Will der Arbeitgeber einem Schwerbehinderten kündigen, hat er grundsätzlich vorher ein sogenanntes Präventionsverfahren nach § 167 Absatz 1 Sozialgesetzbuch IX durchzuführen. Dies ist gesetzlich geregelt und Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.

Nach dieser Vorschrift hat der Arbeitgeber bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und den Betriebsrat sowie das Integrationsamt einzuschalten, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann. Dies gilt jedoch nicht, wenn das Arbeitsverhältnis dem zeitlichen und sachlichen Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes nicht unterfällt, stellte das BAG mit Urteil vom 03.04.2025 – 2 AZR 178/24 – fest.

Was war passiert?
Der schwerbehinderte Kläger arbeitete bei der Beklagten seit dem 01.01.2023 als Leiter für die Haus- und Betriebstechnik. Bei der Beklagten bestand weder ein Betriebsrat noch eine Schwerbehindertenvertretung. Bei Arbeitsvertragsabschluss war der Beklagten die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers bekannt. Sie wurde bei der Stellenbesetzung im Hinblick auf das Anforderungsprofil und sein individuelles Leistungsvermögen berücksichtigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30.03.2023, dem Kläger am Folgetag zugegangen, zum Ablauf des 15.04.2023. Die Parteien hatten eine Probezeit von sechs Monaten vereinbart. Im Kündigungsschutzverfahren teilte die Beklagte mit, der Kläger habe sich als fachlich ungeeignet erwiesen. Die Kündigungsschutzklage blieb in allen drei Instanzen erfolglos. Die höchsten deutschen Arbeitsrichter stellten fest, dass die Beklagte nicht gegen § 167 Absatz 1 SGB IX verstoßen habe. Diese Vorschrift komme während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG, also während der ersten sechs Monate, nicht zur Anwendung. Die Auslegung dieser Vorschrift ergebe, dass sie ausschließlich für Kündigungen im zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes gelte. Hätte der Gesetzgeber unabhängig von der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes die Durchführung des Präventionsverfahrens für erforderlich erachtet, hätte er dies anders im Gesetz definiert.

Fazit:
Kleinbetriebe mit maximal 10 Vollzeitarbeitnehmern müssen niemals ein Präventionsverfahren durchführen, größere Betriebe erst nach Ablauf der Wartezeit, also nach einer Beschäftigungszeit von mehr als sechs Monaten!

Die Art des Betreibens einer internen Meldestelle unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrats

Einige Mitglieder haben den Handelsverband mit der Einrichtung und der Betreuung ihrer internen Meldestelle nach § 12 HinSchG beauftragt. Im Vorfeld der Beauftragung hatte der Handelsverband denjenigen Mitgliedern mit Betriebsrat angeraten, den Betriebsrat über die Auslagerung der Einrichtung und Betreuung mitbestimmen zu lassen, da angesichts von BAG-Rechtsprechung zu AGG-Beschwerdestellen damals zu vermuten war, dass die Maßnahme zumindest teilweise der Mitbestimmung durch den Betriebsrat unterlag. Schließlich ist eine Hinweisgeberstelle geeignet das Verhalten von Arbeitnehmer zu beeinflussen und kann die Ordnung im Betrieb betreffen (vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG).

Durch den Beschluss des LAG Schleswig-Holstein vom 08.07.2025 (2 TaBV 16/24) hat nunmehr auch erstmalig ein zweitinstanzliches Gericht entschieden, dass die Einrichtung einer Meldestelle nach § 12 HinSchG der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG unterliegt. Das Gericht hat ergänzend ausdrücklich festgestellt, dass das Mitbestimmungsrecht auch greife, wenn die Einrichtung und Betreuung der Meldestelle an eine externe Organisation ausgelagert wird.

Zwar sei laut dem Gericht das „Ob“ der Einrichtung gesetzlich in § 12 HinSchG vorgegeben und damit mitbestimmungsfrei, das „Wie“ hingegen offen und deshalb mitbestimmungspflichtig. Das müsse unabhängig davon gelten, ob die Meldestelle mit eigenen Arbeitnehmern betrieben werde oder extern ausgelagert werde.

Der Mitbestimmung unterliegen soll danach die Wahl des Meldewegs, Fragen der Anonymität, Reaktionszeiten sowie die konkrete vertragliche Ausgestaltung bei einer Auslagerung auf Dritte.

Mitglieder, welche im Vorfeld der Auslagerung der Meldestelle an den Handelsverband einen vorhandenen Betriebsrat beteiligt haben, haben somit alles richtig gemacht.

Sie haben Fragen zur Pflicht der Vorhaltung einer internen Meldestelle nach § 12 HinSchG oder zum Angebot des Handelsverbandes? Weitere Informationen finden Sie hier:

Aktuell kein Anspruch für Arbeitnehmer auf bezahlten Vaterschaftsurlaub nach EU-Recht

Nach einer EU-Richtlinie haben Mitgliedstaaten der Europäischen Union die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass Väter oder – soweit nach nationalem Recht anerkannt – gleichgestellte zweite Elternteile, Anspruch auf zehn Arbeitstage bezahlten Vaterschaftsurlaub haben, der anlässlich der Geburt des Kindes des Arbeitnehmers genommen werden muss. Die Mitgliedstaaten können bestimmen, ob der Vaterschaftsurlaub auch teilweise vor der Geburt des Kindes oder ausschließlich danach genommen werden kann und ob er in flexibler Form genommen werden kann. Die Regelungsidee ist praktisch ein seitens des Arbeitgebers zu vergütender Sonderurlaub.

Die Ampel-Koalition hatte einst geplant, die zweiwöchige vergütete Freistellung einzuführen, dies aber nicht mehr umgesetzt. Die aktuelle Bundesregierung hat hierzu im Koalitionsvertrag keine Pläne.
Zwei anhängige Rechtstreite über die medial zum Teil auch falsch berichtet wurde, sorgen nun für eine ungewisse Rechtslage und können bei Arbeitnehmern, die demnächst Eltern werden, Begehrlichkeiten wecken und vermehrt zu derartigen Anfragen bei Arbeitgebern führen.

Vor dem LG Berlin hat ein bei einem Arbeitgeber in der Privatwirtschaft beschäftigter Arbeitnehmer auf Gewährung bzw. Nachgewährung von bezahltem Vaterschaftsurlaub unter unmittelbarer Berufung auf die seiner Auffassung nicht ausreichend umgesetzte Richtlinie geklagt. Das LG Berlin (Urteil vom 01.04.2025 (26 O 133/24) vertrat die Rechtsauffassung, dass die Richtlinie ausreichend durch die deutschen Regelungen zu Elternzeit und Elterngeld umgesetzt sei. Der unterlegene Kläger ist in Berufung gegangen und die Entscheidung steht aus.

Anders hat das Verwaltungsgericht Köln entschieden. In Köln hatte ein Bundesbeamter gegen seinen Dienstherrn auf Gewährung von Vaterschaftsurlaub geklagt. Das VG Köln (Urteil vom 11.09.2025 (15 K 1556/24) gab ihm Recht. Laut dem VG Köln haben Bundesbeamte einen Anspruch auf die zehn Tage vergüteten Vaterschaftsurlaub anlässlich der Geburt ihres Kindes unmittelbar aus der Richtlinie, da Deutschland seiner Verpflichtung zu deren Umsetzung nicht fristgemäß nachgekommen sei. Auch hier wird der Rechtstreit in die nächste Instanz gehen.

Der Anspruch besteht allerdings nach dieser Entscheidung des VG Köln nur für Beamte, aber nicht gegenüber privaten Arbeitgebern. Die unmittelbare Anwendbarkeit einer Richtlinie ist nach der Rechtsprechung des EuGH als eine zusätzliche Sanktion gegenüber dem Mitgliedstaat gedacht, wenn er eine Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat. Dieser Gedanke kann bei privaten Arbeitgebern nicht greifen, denn diese können nicht für die Nichtumsetzung der Richtlinie in ein Gesetz verantwortlich gemacht werden.

Seitens des Handelsverbandes wird deshalb aktuell den Mitgliedern angeraten, einem etwaigen Antrag auf „Vaterschaftsurlaub“ von Eltern werdenden Arbeitnehmern in jedem Fall abzulehnen.

Dabei kann zumindest aktuell auf beide Gerichtsentscheidungen verwiesen werden. Einmal mit dem Argument, dass die Richtlinie umgesetzt sei und mit dem Argument, dass selbst wenn die Richtlinie doch nicht umgesetzt sei, man Arbeitgeber in der Privatwirtschaft sei und nichts für die Versäumnisse des Staates könne.

Tarifgebundene Mitglieder können auch auf § 11a Ziffer 3 a) des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel in Niedersachsen verweisen, wonach bei der Niederkunft der Ehefrau oder einer in häuslicher Gemeinschaft lebenden nichtehelichen Lebenspartnerin ein Anspruch auf zwei Tage bezahlten Sonderurlaub besteht. Eine entsprechende Regelung findet sich auch in den Musterarbeitsverträgen für die Mitglieder des Handelsverbandes.

Sollte sich durch höchstrichterliche Entscheidung oder einen Gesetzesvorstoß der Bundesregierung an der aktuellen Ausgangslage etwas ändern, werden wir unsere Mitglieder selbstverständlich informieren.

„Verschlechterungszulage“ bei Tarifumgruppierung

Tarifgebundene Mitgliedsbetriebe stellen immer wieder die Frage, ob es sein kann, dass ein Verkäufer, der zum Erstverkäufer befördert wird, in einer bestimmten Konstellation weniger Tarifvergütung bekommt als vor der Beförderung. An diese besonderen Spezialfälle hat der Tarifvertrag „gedacht“ und Vorsorge getroffen.

Tarifgebundene Mitglieder haben das Verschlechterungsverbot in Bezug auf die Vergütung bei Umgruppierung von Gehaltsgruppe II in Gehaltsgruppe III zu beachten. Denn in § 2 Ziffer 2 des Gehalts- und Lohntarifvertrages für den niedersächsischen Einzelhandel ist geregelt, dass bei Umgruppierung von Angestellten aus der Gehaltsgruppe II in die Gehaltsgruppe III diese auch in den folgenden Tätigkeitsjahren nicht schlechter bezahlt werden, als wären sie in der Gehaltsgruppe II verblieben.

Dieses hat damit zu tun, dass die Vergütungen in der G III nicht in jedem Fall höher als in der G II sind und einmal von „Berufsjahren“ und zum anderen „Tätigkeitsjahren“ gesprochen wird. Wird also z. B. der Verkäufer zum Erstverkäufer befördert, müssen die bisherige Verkäufervergütung mit der künftigen Erstverkäufervergütung im Tarifvertrag verglichen werden und es muss ein Ausgleich („Verschlechterungszulage“) gezahlt werden, wenn die tarifliche Erstverkäufervergütung niedriger ausfällt.

Beispiel:
Der Verkäufer ist bisher in der G II 7. Berufsjahr mit einem Tarifgehalt von 3.219 EUR brutto monatlich eingruppiert und soll zum 01.10.2025 zum Erstverkäufer befördert werden und erhält dann entsprechend eine Umgruppierung in G III 1./2. Tätigkeitsjahr mit lediglich 2.701 EUR brutto monatlich. Die Differenz von 518 EUR brutto muss der Arbeitgeber als monatlichen Verschlechterungsausgleich zahlen. Es empfiehlt sich, diese „Verschlechterungszulage“ in der Gehaltsabrechnung getrennt auszuweisen. Dieser Verschlechterungsausgleich ist so lange zu zahlen, bis keine Differenz zur Eingruppierung in der Vergütungsgruppe II mehr vorliegt. In diesem Beispiel nach jetzigem Tarifstand sieben Jahre lang, da in der Gehaltsgruppe III erst ab dem 8. Tätigkeitsjahr die Tarifvergütung mit 3.552 EUR nicht mehr niedriger als in Gehaltsgruppe II ist.

BAG: Freistellung während der Kündigungsfrist – böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes

Diese Konstellation kommt immer wieder vor: Der Arbeitgeber kündigt einem Arbeitnehmer mit einer langen Kündigungsfrist und stellt ihn sofort unter Anrechnung des Urlaubs unwiderruflich von der Arbeitsleistung frei. Der Arbeitnehmer erhebt Kündigungsschutzklage und gewinnt. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer “wieder einstellen“. Soweit ist die Sache klar. Aber musste der Arbeitnehmer in der Zwischenzeit eine Ersatzbeschäftigung aufnehmen bzw. wann kann von böswilligem Unterlassen anderweitigen Verdienstes gesprochen werden?

Das BAG hat mit Urteil vom 12.02.2025 – 5 AZR 127/24 – hierzu klar Stellung bezogen. Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristgerecht und stellt den Arbeitnehmer trotz dessen Beschäftigungsanspruchs von der Arbeit frei, unterlässt der Arbeitnehmer in der Regel nicht böswillig im Sinne von § 615 S. 2 BGB anderweitigen Verdienst, wenn er nicht schon vor Ablauf der Kündigungsfrist ein anderweitiges Beschäftigungsverhältnis eingeht. Während der Kündigungsfrist muss der gekündigte Arbeitnehmer grundsätzlich kein neues Arbeitsverhältnis eingehen.

Was war passiert?
Der Kläger war seit November 2019 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt gegen eine monatliche Vergütung von 6.440 EUR brutto. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29.03.2023 fristgerecht zum Ablauf des 30.06.2023 und stellte den Kläger sofort unter Einbringung von Resturlaub unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung frei. Der vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage gab das Arbeitsgericht am 29.06.2023 statt, die von der Beklagten dagegen eingelegte Berufung wurde vom Landesarbeitsgericht ca. ein Jahr später am 11.06.2024 zurückgewiesen.

Nachdem sich der Kläger nach Zugang der Kündigung unverzüglich Anfang April 2023 arbeitssuchend gemeldet hatte, erhielt er von der Arbeitsagentur erstmals Anfang Juli 2023 Vermittlungsvorschläge. Die Beklagte übersandte dem Kläger hingegen schon im Mai und Juni 2023, also noch während der laufenden Kündigungsfrist, insgesamt 43 von Jobportalen oder Unternehmen online gestellte Stellenangebote, die nach ihrer Einschätzung für den Kläger im Betracht gekommen wären. Auf sieben dieser Stellenangebote bewarb sich der Kläger, allerdings erst ab Ende Juni 2023. Nachdem die Beklagte dem Kläger im Juni keine Vergütung mehr zahlte, hat er diese mit einer Klage geltend gemacht. Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und eingewendet, der Kläger sei verpflichtet gewesen, sich während der Freistellung zeitnah auf die ihm überlassenen Stellenangebote zu bewerben. Weil er dies unterlassen habe, müsse er sich für Juni 2023 nach § 615 S. 2 BGB fiktiven anderweitigen Verdienst in Höhe des bei der Beklagten bezogenen Gehalts anrechnen lassen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers war erfolgreich. Die Revision der Beklagten vor dem Bundesarbeitsgericht blieb ohne Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, die Beklagte befand sich aufgrund der von ihr einseitig erklärten Freistellung des Klägers während der Kündigungsfrist im Annahmeverzug und schuldet dem Kläger nach § 615 S. 1 BGB i. V. m. mit § 611a Abs. 2 BGB die vereinbarte Vergütung für die gesamte Dauer der Kündigungsfrist. Nicht erzielten anderweitigen Verdienst muss sich der Kläger nicht nach § 615 S. 2 BGB anrechnen lassen. Für den Arbeitnehmer habe keine Verpflichtung bestanden, schon vor Ablauf der Kündigungsfrist zur finanziellen Entlastung der Beklagten ein anderweitiges Beschäftigungsverhältnis einzugehen und daraus Verdienst zu erzielen, stellten die BAG-Richter fest.

HDE setzt sich für Flexibilisierung und Modernisierung des Arbeitszeitrechts ein

Mit Blick auf den seit Juli 2025 laufenden Dialog der Sozialpartner mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales zur konkreten Ausgestaltung der im Koalitionsvertrag vereinbarten Einführung einer wöchentlichen statt einer täglichen Höchstarbeitszeit bekräftigt der Handelsverband Deutschland (HDE) seine Forderung nach einer Flexibilisierung und Modernisierung des Arbeitszeitrechts.

Der HDE bringt sich aktiv in den Prozess ein und sieht auch in der Aktivrente ein Instrument zur Bewältigung der demografischen Herausforderungen. Wichtig ist hierbei laut Verband allerdings, gleichzeitig teure Anreize zur Frühverrentung abzuschaffen.

„Das Arbeitszeitgesetz bildet die digitale Arbeitswelt nicht mehr hinreichend ab. Das gilt vor allem für die starren Regelungen zur täglichen Höchstarbeitszeit. Deutschland verliert so im internationalen Kampf um Fachkräfte stetig an Wettbewerbsfähigkeit“, so Steven Haarke, HDE-Geschäftsführer Arbeit und Soziales. Flexible Arbeitsmodelle seien inzwischen ein zentraler Schlüssel zur erfolgreichen Fachkräftegewinnung.

Mit dem Arbeitszeitgesetz wurde die EU-Arbeitszeitrichtlinie in nationales Recht umgesetzt. „Dabei wurden die Gestaltungsspielräume der EU-Richtlinie aber nicht voll ausgeschöpft“, so Haarke weiter. Die tägliche Höchstarbeitszeit im Arbeitszeitgesetz werde den Anforderungen der digitalisierten Arbeitswelt nicht mehr gerecht und erschwere auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Nötig sei daher ein Wechsel hin zu einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit direkt im Arbeitszeitgesetz, die tägliche Höchstarbeitszeit müsse wegfallen. „Die tägliche Höchstarbeitszeit ist ein deutscher Sonderweg innerhalb der EU. Wir sollten uns hier an unseren europäischen Partnern orientieren, die da längst vorangehen“, so Haarke. Dadurch erhöhe sich die Gesamtwochenarbeitszeit der Menschen nicht, sondern nur die individuelle Flexibilität. Auch viele Beschäftigte im Handel forderten dies inzwischen ein.

Die ebenfalls im Koalitionsvertrag vereinbarte Aktivrente soll mit 2.000 Euro steuerfreiem Gehalt einen Anreiz für die Beschäftigung von Altersrentnern bieten. „Die Aktivrente ist grundsätzlich eine sehr gute Idee der Koalition und sollte umgesetzt werden“, so Haarke. Die eindeutige demografische Entwicklung mache Anreize wie diesen dringend nötig. Durch die Aktivrente werde das Arbeiten nach Erreichen der Regelaltersgrenze gezielt attraktiver gemacht. „Wir brauchen die Menschen im Betrieb, es handelt sich meist um Leistungsträger“, betont Haarke. Allerdings müssten mit Einführung der Aktivrente zwingend auch die teuren Anreize für Frühverrentung enden. „Die Aktivrente ist natürlich nur dann zielführend, wenn man gleichzeitig die Rente mit 63 abschafft. Ansonsten sollte sich die Bundesregierung lieber gleich von der Idee verabschieden“, so Haarke weiter. Wäre am Ende das Steuerprivileg der Aktivrente mit der abschlagsfreien Frühverrentungsoption kombinierbar, hätte das eine fatale Signalwirkung. „Das wäre der Supergau, weil eine Frühverrentung dann für viele nochmals attraktiver erscheint“, so Haarke.

Weitere Informationen

Quelle: HDE

Sonderkündigungsschutz für Schwangere – nachträgliche Klagezulassung bei Schwangerschafts-Schnelltests

Grundsätzlich muss sich jeder Gekündigte binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht melden und Kündigungsschutzklage einreichen, wenn er sich gegen eine Kündigung wehren möchte – ansonsten wird die Kündigung wirksam, vergl. §§ 4,7 KSchG. Nur in Ausnahmefällen kann eine Kündigungsschutzklage nachträglich zugelassen werden, wenn der Arbeitnehmer trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zumutbaren Sorgfalt verhindert war, die Klage rechtzeitig einzureichen, vergl. § 5 KSchG.

Mit einer besonderen Fallkonstellation einer gekündigten Schwangeren hat sich jetzt das BAG mit Urteil vom 03.04.2025 – 2 AZR 156/24 – beschäftigt.

Was war passiert?

Die Klägerin war bei der Beklagten beschäftigt, die das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 30.06.2022 kündigte. Das Kündigungsschreiben ging der Klägerin am 14.05.2022 zu. Am 29.05.2022 führte die Klägerin mit einem in der Drogerie gekauften Schwangerschafts-Schnelltest einen Schwangerschaftstest durch, der ein positives Ergebnis hatte. Sie bemühte sich sofort um einen Termin beim Frauenarzt, den sie aber erst für den 17.06.2022 erhielt. Am 13.06.2022, also nach Ablauf der oben genannten 3-Wochen-Frist, hat die Klägerin eine Kündigungsschutzklage anhängig gemacht und deren nachträgliche Zulassung beantragt. Am 23.06.2022 reichte sie ein ärztliches Zeugnis beim Arbeitsgericht ein, das eine bei ihr am 17.06.2022 festgestellte Schwangerschaft in der „ca. 7 + 1 Schwangerschaftswoche“ bestätigte. Im Mutterpass wurde als voraussichtlicher Geburtstermin der 02.02.2023 ausgewiesen. Danach hatte die Schwangerschaft am 28.04.2022 begonnen (Rückrechnung vom mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage). Die Klägerin hat gemeint, die Kündigungsschutzklage sei gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 KSchG nachträglich zuzulassen. Die Beklagte vertrat die Rechtsauffassung, diese Vorschrift sei nicht einschlägig. Die Klägerin habe bereits durch den positiven Schnelltest am 29.05.2022 und damit binnen der sogenannten 3-Wochen-Frist sichere Kenntnis von ihrer Schwangerschaft gehabt. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht gaben der Klägerin recht und haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Die ausgesprochene Kündigung sei wegen Verstoßes gegen das Kündigungsverbot aus § 17 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG unwirksam. Das Gegenteil werde nicht aus § 7 HS 1 KSchG fingiert. Zwar habe die Klägerin mit der Klagerhebung am 13.06.2022 die am 07.06.2022 abgelaufene Klagefrist nicht gewahrt. Diese Frist sei zwar mit dem Zugang des Kündigungsschreibens angelaufen. Der Fristbeginn richte sich jedoch nicht nach § 4 S. 4 KSchG, denn die Beklagte hatte im Kündigungszeitpunkt keine Kenntnis von der seinerzeit bereits bestandenen Schwangerschaft der Klägerin. Die verspätet erhobene Klage sei jedoch gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 KSchG nachträglich zuzulassen. Die Klägerin habe aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst mit der frühestmöglichen frauenärztlichen Untersuchung am 17.06.2022 positive Kenntnis davon gehabt, dass sie bei Zugang der Kündigung am 14.05.2022 schwanger gewesen sei. Der zuvor durchgeführte Schwangerschafts-Schnelltest vom 29.05.22 habe ihr diese Kenntnis nicht vermitteln können, urteilten die BAG-Richter auch in letzter Instanz.

Einwurf-Einschreiben – kein Anscheinsbeweis für den tatsächlichen Zugang

Bei der Zustellung von Arbeitgeberkündigungen werden immer wieder gravierende Fehler gemacht, die im Extremfall dazu führen, dass der Kündigungszugang und damit eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht bewiesen werden kann. Dabei wird häufig das Einwurf-Einschreiben überschätzt. Das BAG hat mit Urteil vom 30.01.2025 – 2 AZR 68/24 – nochmals klare Grundsätze zum Kündigungszugang aufgestellt.

Eine verkörperte Willenserklärung (Kündigungsschreiben) geht unter Abwesenden zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie z. B. ein Hausbriefkasten. Der Beweis des ersten Anscheins greift bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist. Die bloße Vorlage des Einlieferungsbeleges eines Einwurf-Einschreibens und die Darstellung seines Sendungsverlaufs begründen für sich allein genommen ohne die Vorlage einer Reproduktion des Auslieferungsbelegs keinen Anscheinsbeweis für einen Zugang der eingelieferten Postsendung beim Empfänger, stellten die BAG-Richter fest.

Im Streitfall hatte der kündigende Arbeitgeber zwar den Einlieferungsbeleg des Einwurf-Einschreibens und den Sendungsverlauf darstellen, jedoch die Reproduktion des Auslieferungsbelegs nicht mehr vorlegen können. (Den notwendigen Ausdruck erhält der Arbeitgeber nur, wenn er diesen binnen 15 Monaten nach Aufgabe des Einwurf-Einschreibens bei der Deutschen Post AG gegen Gebühr anfordert). Die Kündigungsempfängerin habe sich deshalb im Verfahren mit Recht durch einfaches Bestreiten darauf berufen können, sie habe das Kündigungsschreiben niemals erhalten.

TIPP:

Wir empfehlen grundsätzlich, das Kündigungsschreiben persönlich zu übergeben und sich den Erhalt dieser Kündigung mit Datum und Unterschrift des Kündigungsempfängers quittieren zu lassen. Sollte eine direkte Übergabe der Kündigung ausnahmsweise nicht möglich sein, z. B. weil der Arbeitnehmer erkrankt ist, empfiehlt sich eine Zustellung per Boten in den Hausbriefkasten des Arbeitnehmers. Dabei muss der Bote das Kündigungsschreiben selbst kuvertieren, damit er später bezeugen kann, dass sich in dem Brief auch tatsächlich das Kündigungsschreiben befand. Ferner sollte sich der Bote Datum und Uhrzeit des Einwurfs in den Hausbriefkasten notieren, damit die Zustellung exakt bewiesen werden kann.

Antrag auf Elternzeit ab Mai 2025 in Textform möglich

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Elternzeit oder eine Verlängerung ihrer Elternzeit beantragen möchten oder die einen Antrag auf Teilzeit während der Elternzeit stellen möchten, mussten dies bisher mit eigenhändig unterschriebenem Schreiben zur Wahrung des gesetzlichen Schriftformerfordernisses beantragen. Diese Schriftformerfordernis gilt aufgrund einer Gesetzesänderung nur noch für Kinder, die vor dem 01.05.2025 geboren werden.

Für ab dem 01.05.2025 geborene Kinder kann ein Antrag auf Elternzeit nach § 16 Abs. 1 BEEB n. F. und ein Antrag auf Teilzeit während der nach § 15 Abs. 7 BEEG n. F.auch in sogenannter Textform gestellt werden.

Textform bedeutet gemäß § 126b BGB, dass eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben wird. Es reicht beispielsweise ein papiernes Schreiben mit dem Antrag, auf dem der Name der erklärenden Person gedruckt ist. Aber auch ein Antrag per E-Mail oder in einer Textnachricht ist nunmehr möglich, sofern der Antrag und namentlich der Antragsteller aus dem Text erkennbar sind.

Natürlich ist aber auch weiterhin eine handschriftliche Antragstellung möglich.

Beide Elternteile haben einen gesetzlichen Anspruch auf Elternzeit. Der Arbeitgeber eines Elternteils kann den Antrag auf Elternzeit deshalb grundsätzlich nicht ablehnen, wenn eine vollständige Freistellung während der Elternzeit verlangt wird und das die Elternzeit begründende Kind noch weniger als 3 Jahre alt ist.

Aus dringenden betrieblichen Gründen kann jedoch ein Antrag auf Teilzeit in Elternzeit durch einen Arbeitgeber abgelehnt werden. Eine solche Ablehnung der Verringerung der Arbeitszeit und/oder die Ablehnung deren Verteilung kann bei ab dem 01.05.2025 geborenen Kindern nunmehr ebenfalls in Textform erfolgen.

Bei Ablehnungen seitens des Arbeitgebers sollte dieser darauf achten, dass er eine Lesebestätigung oder ein Empfangsbekenntnis des Arbeitnehmers vorweisen kann. Im Streitfalle muss nämlich gegebenenfalls der Arbeitgeber nicht nur seine rechtzeitige Ablehnung, sondern auch deren Zugang beweisen können.

Muster stehen unseren Mitgliedern exklusiv als Download zur Verfügung:

Arbeitgeber, die eine ablehnende Entscheidung auf einen Antrag auf Elternzeit oder Teilzeit in Elternzeit treffen wollen, können sich durch die Juristen des Handelsverbandes zu dieser Thematik beraten lassen.

Mitgliedsbeiträge für Fitnessstudio nicht steuermindernd

Aufwendungen für die Mitgliedschaft im Fitnessstudio können nicht als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 EStG steuermindernd geltend gemacht werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Steuerpflichtige aufgrund ärztlicher Verordnung an einem sogenannten Funktionstraining teilnimmt, entschied der Bundesfinanzhof in letzter Instanz mit Urteil vom 21.11.2024 – VI R 1/23 -.

Es handelte sich bei den Mitgliedsbeiträgen nicht um Krankheitskosten, sondern um Kosten für vorbeugende oder die der Gesundheit ganz allgemein dienende Maßnahmen, sodass keine außergewöhnlichen Belastungen vorlägen. Auch der Umstand, dass der Steuerpflichtige die Möglichkeit habe, alle Angebote dieses Fitnessstudios (Sauna, Schwimmbad oder andere Fitnesskurse) zu nutzen, stehe einem steuermindernden Abzug des Mitgliedsbeitrages entgegen, erklärten die höchsten deutschen Finanzrichter.